Kann das weg oder wird das Kunst?

In unserer schnelllebigen Gesellschaft verlieren Dinge rapide an Wert. Was fehlerhaft, benutzt, beschädigt, demoliert oder zerbrochen ist, wird oft kurzerhand ausgetauscht, ersetzt oder geupdatet. Außerdem zählt in unserer westeuropäischen Gesellschaft scheinbar vor allem: »Neu ist immer besser!«. Diese Spirale des Konsums, der Ressourcenverknappung und des Wegwerfens nimmt leider immer mehr an Fahrt auf.

Dieses Phänomen und die Kritik daran sind jedoch nicht neu. Bereits im 16. Jahrhundert kritisieren japanische Teemeister die Inszenierung der traditionellen Teezeremonie als zunehmende Zurschaustellung von Glanz, Kaufkraft und Luxus. So entsteht die

Veredelungstechnik des ›Kintsugi‹ als handwerkliche Gegenbewegung. Dabei werden scheinbar wertlose Bruchstücke von Keramik- oder Porzellan mit Urushi-Lack zusammengeklebt und in die einzelnen Bruchlinien wird feinstes Pulvergold oder andere Metalle wie Silber oder Platin eingestreut. Fehler, Brüche und Risse werden vergoldet, hervorgehoben. Was wertlos schien erhält neuen Glanz.

In ganz ähnlicher Weise haben Schülerinnen der Theodosius-Florentini-Schule im Rahmen der Kunst-AG ›Offener Kunstraum‹ zwei alte und (mutwillig) demolierte Stellwände zu neuem Leben erweckt. Was scheinbar Zweck und Aufgabe verloren hatte, wurde mit Hilfe von Stencils, Graffiti und Acrylfarbe neu in Szene gesetzt. Dabei wurden den Schülerinnen keine inhaltlichen Vorgaben erteilt. Stattdessen durften sie sich ergebnisoffen auf den leeren „Leinwänden“ ausprobieren. Das Ergebnis steht für sich. Wie die japanischen Teemeister damals und dem Leitspruch der Florentini-Schule entsprechend haben die Schülerinnen das Gramm Gold in beiden Stellwänden gefunden und (erneut) zum Leuchten gebracht haben. Mit ihrer Leuchtkraft zeigen die Stellwände wie kreativ und experimentell FlorenTeensKunst sein kann.

27.07.2023
Anna Gruber und Felix Fleckenstein